Segeltörn Kykladen (4.-10.Oktober 2003)

Skipper: Felix Höhener. – Crew: Ruth Bollier, Hansruedi Brütsch, Christine Höhener, Bea Joos-Müller, Eduard Joos, Marion Miehling.
Schiff: Bavaria 44 (Länge 14,4 m, Breite 4,4 m, Segelfläche 100,2 qm, Motor 55 PS, 8 Kojen).
 

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Samstag, 4. Oktober 2003:
Ruth holt Marion in Stein am Rhein ab, die Joosens kommen aus Schaffhausen, punkt 7.30 ist die Crew in Moskau bei Ramsen SH versammelt, trinkt noch rasch einen Kaffee und erfreut sich an ofenfrischen Gipfeli, und los geht’s mit zwei Autos zum Flughafen Stuttgart, wo die Aegean Airlines [sprich: ätschiien ärleins] Flug A3-511 pünktlich um 10:45 Uhr abhebt. Natürlich: Sicherheitskontrollen zuvor. Natürlich: bei Ruth wird ein in der Aussentasche vergessenes Schweizer Militärsackmesser entdeckt, sie muss es zurück-lassen. Natürlich ist es in Stuttgart regnerisch und schon beim Zwischenhalt in Thessaloniki schönes, warmes Spätsommerwetter. Aussteigen, Flugzeugtanken, Transitpass, Warten, Taxfreeshop (Metaxa, Kurpackung Kaugummi), Sicherheitskontrollen, Einsteigen, Abflug.

In Athen erwartet uns das gleich schöne, warme Wetter und das Taxi, das uns nach 30-minütiger Fahrt durch das kahle Attika direkt nach Lávrion [das antike Laurion] hinter die Hafenmauer mit den Charterschiffen der olympic yachting führt. Der Base-Manager Makos Basialekos führt uns zu unserer Bavaria 44 namens „Ikaros“, die zu unsern Ehren bereits ein Schweizerfähnchen unter der Backbordsaling ziert. Links und rechts lauter Charterboote mit Schwarz-Rot-Gold-Flaggen. Ein kurzer Blick in die „Ikaros“: alles tadellos und sauber, das Boot ist die zweite Saison unterwegs. Ein kurzer Begrüssungstrunk auf der Hafenmauer, dann folgt einerseits der Grosseinkauf per Lieferwägelchen der Charterfirma, anderseits die etwas abgekürzte Einführung und eigentliche Schiffsinspektion. Alles o.k., nur die Ankermotorsteuerung hat Wackelkontakt. Wir verteilen die Kojen, probieren die Schwimmwesten, verstauen die Gepäckstücke, und schon kommt der Lieferwagen mit Lebensmitteln und Tranksame für Hunderte von Schiffstagen ... Wundersam nimmt die Ikarus geduldig alles von Christine und Helferinnen Gekaufte und Hereingetragene auf, und im Nu ist alles irgendwo verschwunden, das Mineralwasser beispielsweise in Tischnähe unter dem Bodenbrett bei der Absaugpumpe. Nichts von der Enge eines U-Bootes, nichts von der Kahlheit eines Kanonenbootes, wir haben eine gemütliche Tischrunde, eine ausgebaute Küche, zwei WC’s, einen Kartentisch mit GPS, Navtex, UKW und übersichtlicher Schalttafel.

Das Nachtessen an Land in Lávrion ist unsere erste gemeinsame Mahlzeit, das Restaurant könnte Makrónissos geheissen haben, und schon sind wir vertraut mit Schafskäse im reichhaltigen Salat und andern Köstlichkeiten, einschliesslich griechischem Kaffee – türkischen dürfe man nie bestellen, das verletze die Bewohner des Gastlandes. Für sieben Personen zahlen wir 81 Euro. Haben wir im Schiff noch den Allerletzten getrunken? Sicher, aber wie viele? Die Erinnerung ist verblasst, es gab so viele Allerletzte diese Woche. Wir versuchen, uns noch etwas einzuschläfern, um das tiefe Bum-Bum des Nachtclubs vis-à-vis der Hafenmauer zu egalisieren. Gelungen ist das allerdings nicht. Hansruedi bleibt noch lange im Cockpit sitzen und schaut versunken in den griechischen Nachthimmel hinaus ...

Sonntag, 5. Oktober 2003: Es wäre übertrieben zu behaupten, Edis Kaffee habe die Mannschaft geweckt. Was da aus der Espressomaschine rann, war Gwaaggeseich. Der Begriff wurde zwar erst eine Woche später erfunden und konnte darum auch noch nicht verwendet werden, aber der Befund ist hinterher eindeutig. Das zweite Wässerchen war immerhin schon fast so stark wie Tee, und ab dem dritten glich es dann dem, was beabsichtigt war. Ansonsten gab es alles zum Frühstück, was das Seemannsherz und –frauenherz begehrte.

Skipper Felix drängt bald einmal auf Ablegen, Navigatin Marion hatte Logbuch, Karte und Hilfsmittel vorbereitet und den Kurs um die Insel Makrónisos zum Ormos Áy Nikólaou auf der Insel Kéa berechnet. Um 10.50 Uhr heisst es Motor ein! und Alle Leinen los! Erste Steuerversuche machen uns mit Maschine und Fahreigenschaften bekannt, das mehrmalige Anlegemanöver an einen rostigen Frachter im Hafen durch die Crewmitglieder endet ohne Crash, die „Ikaros“ folgt auf jede Bewegung von Steuerrad und Gashebel. Und ab durch die Mitte zwischen den Leuchtfeuern ins Meer hinaus. Der Seegang ist bescheiden, der SE-Wind wird durch die vorgelagerte Gefangeneninsel Makrónisos gebremst. Erstmals ertönen für die Neusegler Joos+Co. die Rufe Gross setzen! Genua setzen! Klar zum Wenden! Gefolgt von hektischen Bewegungen an Leinen und Wintsch. Nach einem Q-Wende und Quick-Stopp (Mann-über-Bord-Manöver), kreuzen wir bei 180° S-Wind südwärts, bis wir die Süd-spitze von Makrónisos umrunden und einen Ostkurs von 70-100° einschlagen können.

Der Wind bläst mit 35 Knoten, die See wird rauer, die Schiffsbewegung entsprechend intensiver, wir fahren mit bis zu 7 Kn. Mageninhalte finden den Weg ins Meer – doch der Sonnenschein ist prächtig, die Windrichtung ideal. Kurz vor der Insel Kéa wenden wir uns NE-wärts Richtung Einfahrt in den Ormos Áy Nikólaou. Gross bergen!, wir steuern zwischen den beiden Kirchen durch in den hinteren Órmos Vourkari. Hansruedi ist mit der elektrischen Bedienungseinrichtung vorn beim Anker und lässt ihn auf Kommando von Skipper Felix um 15.00 Uhr in den Grund sausen. Mit dem Motor im Rückwärtsgang wird die Haltefähigkeit geprüft. Da der Halt als nicht sicher beurteilt wird, wird das Ankermanöver wiederholt – erst dann enden die Kommandos und die schöne Segelarbeit. 18,26 sm haben wir zurückgelegt. „Ikaros“ schaukelt gemütlich an der Kette, und wir können uns dem ersten Ankertrunk zuwenden, den Ruth (wie immer in Zukunft) selbstlos vorbereitet und kredenzt.

Die Mannschaft stürzt sich in die Badehosen und/oder direkt ins Wasser und spült die salzige Haut im Salzwasser. Christine übernimmt die Vorbereitung des Nachtessens, und beim Einnachten sitzen alle um den reichgedeckten Tisch und geniessen das erste richtige Essen an Bord. Noch beobachten wir, wie ein anderes Schiff mit seinem Anker unsere Kette hebt – ein leichter Ruck geht zwar durchs Schiff, aber der Anker sitzt sicher im Grund. Nach einem Nacht- und Nacktbad verkriechen sich alle in ihre Kojen, der erste herrliche Segeltag findet sein seliges Ende.

Montag, 6. Oktober 2003: Tagwache 7.00 Uhr, Edis Funkwecker, der die Zeitverschiebung nicht mitgemacht hat (zu weit weg von Frankfurt), schlägt sie an. Nach ausgiebigem Frühstück und raschen Vorbereitungen für eine ad-hoc-Zwischenmahlzeit sind wir startklar. 9.40 wir der Anker gehoben. Unter Motor verlassen wir die Bucht, und um 10.00 Uhr geht’s bei Wind von 35 kn aus S mit gesetzten Segeln
N-wärts um die Insel Kéa herum und durch Kreuzen Richtung Insel Kythnos.

Die Sicht ist nicht gerade enorm, zeitweise können wir zwar in der Ferne die Küste von Andros im NE und der verbotenen Insel Gyaros im E ausmachen, halten uns aber an Kéa und Kythnos. Wir wechseln uns am Steuer und beim Kurshalten im Kompassfahren ab – so einfach ist es am Anfang gar nicht. Felix, Ruth und Marion geben uns ein Beispiel, wir versuchen, Erfahrungen zu sammeln. Zuviel Kopfarbeit schadet, Gefühl entwickeln für die Schiffs- und Segelbewegung ist alles. Wie steht der Windanzeiger an der Mastspitze, wie die Trimmfäden am Vorsegel, was zeigt der Kompass an, und wie laufen die Wellen? Wir fliegen auf dem Ägäischen Meer dahin und vertiefen uns in die Segeltechnik. Schoten dichter!

Irgendwann werden Äpfel gereicht, Brötchen, Kaugummi aus der Kurpackung, Säfte, ein Bier, dann dazwischen wieder ein Klar zur Wende! , wobei sich immer wieder andere Crewmitglieder um die Leinen und Wintschen streiten. Mitunter ist echte Körperkraft gefordert. Auf Position N 37°26.605 / E 24° 25,490 rutscht Marion das Tau beim Fieren aus der Hand und verbrennt ihr die Finger. Alle leiden sichtbar mit, aber der wirkliche Schmerz muss nur Marion aushalten, und das über mehrere Tage. Der Wind dreht auf W und NW, Fallwindböen bis 6 erwarten uns auf der E-Seite von Kythnos. Seit 13.00 Uhr läuft der Motor als Hilfskraft, damit wir die Órmos Loutron erreichen. Problemlos machen wir längsseits an der Mole an.

Wir haben wieder einmal festen Boden unter den Füssen und nutzen das für Einkäufe und kleine Fotowanderungen am kleinen Ort Loutra. Viel gibt’s nicht zu sehen, immerhin ein (vermeintlich schon geschlossenes) Badehotel mit heissen Quellen, ferner einige Läden, etliche andere Schiffe mit internationalen Mannschaften, Rollerbrigaden zur Erkundung der Insel und viele Tische und Stühle am Hafenufer, die zum Verweilen einladen.

Marion liest die Instrumente ab und vervollständigt das Logbuch. Wir stellen fest, dass wir heute 28,8 sm zurückgelegt haben. Wir immer kontrolliert Hansruedi den Motor, der durch Aufklappen der Treppe vom Salon ins Cockpit zugänglich wird. Heute ist es für ein Bad zu kalt, doch der Ankertrunk darf nicht fehlen. Es gab wie immer einen vorzüglichen z’Nacht, durch liebe Hände zubereitet und serviert. Da uns der Wind unter Deck drängt, gibt es eine gemütliche Schwatz- und Spassrunde um den grossen Tisch, bevor die Kinnladen herunterfielen. Immerhin wurde selbst im Gegenwind die Heckdusche vor dem Schlafengehen verwendet.

Dienstag, 7. Oktober 2003: Um 9.45 heisst es Leinen los! Und kurz darauf läuft die Ankerwinsch an. Mit 97° verlassen wir den Hafen unter Motor, eine Viertelstunde später werden Gross und Genua gesetzt. Das Wetter ist prächtig, der Wind weht mit Stärke 3 aus NW. Wir wollen mit Kompasskurs 100° zu Nordspitze der Insel Syros gelangen und sie im Uhrzeigersinn umrunden, um den Hafen Ermeúpolis auf der E-Seite anzusteuern. Der kleine GPS von Edi leistet im Cockpit beste Dienste für die Standortbestimmung bei den Manövern. Bisher hat es immer wieder Ruth unternommen, auf dem grossen GPS am Kartentisch im Salon den Standort abzulesen. Nur Ruth hält es in der Schräglage unter Deck aus, wir andern sind froh, wenn wir auf Deck unsere Augen den Horizont absuchen können, um keine Magenbeschwerden zu bekommen.

Wegen dem schönen Wind verzichten wir sogar auf eine Siesta in einer schönen, kleinen Badebucht (Órmos Grammato hätte sich angeboten) und umrunden mit Schwung das Leuchtfeuer Ak Trimessos an der Nordspitze. Wir drehen auf 117°, später auf 151°, segeln der E-Küste entlang. Weil der Wind auf NE 2 gewechselt hat, haben wir das Vergnügen, das Schmetterlingsegeln kennen zu lernen. Die Hauptstadt der Kykladen kündet sich durch Häuser, dann Villen, schliesslich Kirchen und Kuppeln an, und plötzlich segeln wir vor einen grossen Hafen mit riesigen Frachtern und Fähren darin.

Eine volle Stunde kurven und stehen wir im Hafenbecken herum und beobachten, wie die Ungetümer durch kleine Schubschiffe aus dem Dock in die Ausfahrtrichtung manövriert werden. Jetzt sind wir aus der Segelprovinz in einen mittleren Welthafen gekommen, wo es nicht nur häuserübersäte Hügel, sondern viele Läden und Tavernen zu bewundern gibt. Die schiffsleere Marina lockt uns nicht, wir legen wieder römisch-katholisch punkt 1550 am Hauptpier an, zwei Schritte, und wir sitzen in einem der vielen Hafenrestaurants. Die Tagesleistung liegt bei 27,7 sm.

Felix und Christine legen ihre Matratzen zum Trocknen aus, nachdem feststeht, wie das Wasser seinen Weg in die Bugkabine gefunden hat. Die Luke zum kleinen Frachtraum zwischen Ankerkettenkasten und Kabine war zwar zu, aber nicht dicht; Bugwellen haben sich in den kleinen Rum ergossen und das Wasser direkt ins Bett unseres Skipperpaares geleitet. Sie nehmen es erstaunlich gelassen, obwohl sie nachts eng aufs Trockene zusammenrücken mussten.

Jetzt folgt (nach dem obligaten Ankertrunk) der ausgiebige Landgang in der Kykladenhauptstadt Ermeúpolis (eigentlich: Hermes-Stadt): Zeitungskauf, Wetterberichtstudium, Lädelen und Sightseeing, später dann ein grosses Nachttafeln in einem Altstadtrestaurant mitten zwischen zwei Häuserzeilen. Fische werden ab Grill serviert, Wein in etwas stillosen farbigen Aluminiumzylindern. Nach dem griechischen Salat hat man/frau praktisch gegessen, aber wir kämpfen uns mit einem Restappetit durch die Riesenportionen, über uns die Dächer und der laue griechische Nachthimmel. Trotz ausgiebigem Bechern hat niemand die Planke verfehlt, die aufs Schiff führte. Erneut will uns Marion noch zu ihrem 100-Meilen-Trunk verleiten, aber der Bedarf ist gedeckt! Nur noch Duschen – Kuscheln – Schlafen, in der heiter schaukelnden „Ikaros“ auf Ermeúpolis.

Mittwoch, 8. Oktober 2003: Bei etwas weniger schönem Wetter (Sonne leicht bedeckt) verlassen wir um 10.40 Uhr den Hafen und steuern nach der Ausfahrt zwischen Syros und der kleinen Insel Gaidharos durch Richtung SSE. Tagesziel ist der bereits bekannte Hafen Loutra auf Kythos, das wir durch ein Südumfahren von Syros ansteuern wollen. Der Wind weht zuerst mässig mit 3-4 aus SW, später aus S, um 12.30 fällt er fast in sich zusammen, so dass wir zwischenzeitlich motoren müssen, später frische er immer mehr auf mit starken Böen bis 7. Wir erleben an diesem Tag Windgeschwindigkeiten von bis zu 41,9 kn. Bea, so meinte der Skipper am morgen gutgelaunt, werde heute bei idealen Windverhältnissen auch einmal steuern. Als es dann soweit ist, muss Bea am Riesenrad doch einige Kraft ansetzen, damit wir auf Kurs blieben, wie das Bildchen zeigt. Mit Kurs 250-270° halten wir von der Südspitze (Ak Velostasi) mit zeitweise 8 kn Fahrt direkt auf Loutra zu. Bei immer weniger schönem Wetter und rechtem Seegang mit grossen Wellenbergen muss uns der Motor helfen, beizeiten die Küste zu erreichen.

Bei starkem Wind erkundet Skipper Felix die Hafensituation, und obwohl bereits einige Helfer an der Mole stehen und winken, beschliesst er, in den Hafen einzufahren und römisch-katholisch zu ankern. Der Anker fällt, mit Schwung fahren wir rückwärts zur Mole, die Tütscher stehen links, rechts und vor allem hinten bereit, das Tau wird geworfen, von eifrigen Händen auf der Mole aufgefangen, das Schiff um 15.25 Uhr vertäut – und da liegt die „Ikaros“ so sicher, wie wenn sie immer in diesem Hafen gelegen hätte. Dass das Ankern mit den entsprechenden Kontrollen, die gegenseitige Vertäuung an andern Schiffen und die reiche Befenderung alles andere als überflüssig ist, erfahren wir in der Nacht bei Sturm bis 100 kn. Andernorts ging ein Schiff der Bavaria-Yachting in dieser Nacht unter, in unserm Hafen von Loutra mussten um nachts 3.00 Uhr drei Schiffe schleunigst den Hafen verlassen, weil ihre Anker nicht festsassen.

 

Da gibt’s doch die schöne Internetseite www.esys.org/esys/rk-anleg.html  mit guten Regeln. Für heute: Das Segeln auf See ist eine hohe Kunst, doch das geglückte, perfekte Anlegemanöver im Hafen ist die edle Krönung eines jeden Segeltags.

Allein schon deshalb, weil sensationslüsternes Publikum zusammen mit schadenfrohen Skipperkollegen schon gierig darauf warten, dass sich ein Schiffsbug splitternd in die Kaimauer bohrt und sich hinterher über derlei belanglose Kleinigkeiten tage-lang das Schandmaul zerreisst.

Die Wenden und Halsen draussen in der tobenden See können noch so genial gewesen sein, gesehen hat’s leider niemand. Ein perfektes Anlegemanöver aber sehen Hunderte von Touris und die leichtgeschürzten Mädels auf der Hafenpromenade blicken bewundernd mit großen blauen Augen zum Skipper auf. Damit Ihnen solcher Glanz nicht versagt bleibt, hier einige Ratschläge aus meiner langjährigen Praxis:

  • Gewissenhafte Vorbreitungen und klare Befehle sind unter Ihrer Würde. Überlassen Sie die Vorbereitung des Anlegemanövers der Kreativität der Crew.

  • Die Einfahrt in den Hafen sollte immer zügig bis schnell erfolgen. Geschwindigkeitsbeschränkungen ignorieren Sie, die sind ohnehin nur für ängstliche Naturen. Ein wenig Schwell bringt Bewegung in den Hafen und teilt allen anderen unmissverständlich mit, dass jetzt SIE kommen.

  • Befehle erteilen mit lauter und kräftiger Stimme. Das zeugt von Selbstbewusstsein und schließlich soll der ganze Hafen was davon haben.

  • Fender sind nur für Anfänger, die immer irgendwo anbumsen. Wenn überhaupt Fender, dann erst im letzten Augenblick!

  • Anweisungen des Hafenkapitäns werden grundsätzlich nicht zur Kenntnis genommen, die Auswahl des richtigen Platzes überlassen Sie am besten der Crew. Lautstarke Diskussionen an Bord zeugen von der demokratischen Grundeinstellung eines liberalen Skippers.

  • Akzeptieren Sie aber beileibe nicht jeden Platz, den die Crew vorschlägt. Hier heißt es Führungswillen demonstrieren. UND: Nur an wirklich engen Lücken können Sie Ihr überlegenes Können demonstrieren.

  • Motormanöver werden grundsätzlich entschlossen, energisch und mit voller Drehzahl des Diesels durchgeführt. Zeigen Sie ruhig, wie stark Ihre Maschine ist! Ehrfürchtiges Staunen der anderen Segler im Hafen ist Ihnen sicher.

  • Beim Rückwärtsfahren in die Lücke achten Sie auf ausreichende Geschwindigkeit. Schließlich brauchen wir Ruderwirkung.

  • Schonen sie Ankerkette und Winsch! Nur Angsthasen legen mehr als 10 Meter Kette!

  • Das Abbremsen des Schiffes überlassen Sie ruhig dem Ankermann. Um die Kaimauer brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, die ist meist aus Stein.

 

 

Das leckere Abendmenü besteht aus Pouletspiessli und Kartoffelgratin, zuvor Salat und immer genug Wein. Felix holt nach dem Abwasch die Gitarre, und bald erklingen alte Seemannslieder. Irgendwann merkt Christine oder Felix, dass heute ihr Hochzeitstag ist. Noch ein Grund zum Anstossen!

Donnerstag, 9. Oktober 2003: Alle Schiffsmannschaften stehen auf der Hafenmole und beraten, ob man heute auslaufen soll oder nicht. Der Navtex berichtete von einem Sturm bis zu 100 km/h, und da nachts einige Boote fluchtartig den Hafen verlassen mussten und nun in der Bucht draussen ankern, ist die Stimmung von Verunsicherung geprägt. Auch in unserer Mannschaft wird hin- und hererwogen, bis wir uns mit knappem Mehrheit zum Auslaufen entscheiden. Grund ist nicht zuletzt, dass es auf Kythnos eigentlich wenig zu sehen gibt, ein Lesetag im Hafen lockt auch nicht.

Wie unsere Kette von einem andern Schiff gehoben wird, ist die Ausfahrt beschlossene Sache: Um 11 Uhr verlassen wir den Hafen, fünf Minuten später sind die Segel gesetzt und bei NW-Wind Stärke 3 kreuzen wir nordwärts, um die Nordspitze von Kéa in unsern ersten Hafenort Ormos Áy Nikólaou zu erreichen. Der Wind wech-selt auf N und am Nachmittag auf NE, so dass wir praktisch immer gegen den Wind fahren, bis wir das Bergkloster im Norden von Kéa umrundet haben. Das sonnigwarme Wetter und das Interesse an Ortsbestimmungen mit Peilgerät hält uns bei bester Laune. Der angekündigte Sturm ist offensichtlich jener, der bereits heute Nacht über uns hinweggefegt ist.

Hansruedi übernimmt das Steuer und führt uns in die Hafenbucht, diesmal wenden wir uns aber nach der Einfahrt nach Süden. Weil es in der Bucht ruhig ist, beschliessen wir zu ankern. Um 17 Uhr fällt der Anker in der Ormos Livadi vis-à-vis Korissia, und kurz darauf plätschern fast alle fröhlich um die „Ikaros“ herum, während Ruth wie gewohnt den Ankertrunk vorbereitet. Lange sehen wird der grossen roten Fähre zu, die in die Bucht einfährt wendet, Personen und Autos ausspuckt, langsam Leute und Vehikel wieder in ihrem Bauch verstaut und majestätisch die Bucht verlässt. In der Küche hat Christine souverän das Kommando übernommen, und kaum sinkt die Dämmerung über uns, sitzen wir am grossen Salontisch, lassen uns mit griechischem Salat und Spaghetti Carbonara verführen und trinken hin und wieder ein Tröpfchen des niemals versiegenden Bordweines. Niemand weiss so richtig, wo eigentlich die vielen Flaschen Platz fanden, die sich so langsam leeren. Ein Nachtschwumm und eine warme Dusche am Heck leitet zu den seligen Gefilden über.

Freitag, 10. Oktober 2003: Der letzte Segeltag bricht an, wir haben schön Zeit, uns von der „Ikaros“ zum Ausgangspunkt zurückfahren zu lassen. Um 10.10 Uhr – nach ausgiebigem Frühstück – verlassen wir die lieblichstille Bucht, setzen im Fünfminutentakt Grosssegel und Genua in den Meltemi, der jetzt mit Stärke 4 bis 6 weht, und steuern Ak. Tripiti mit Kurs 310° an, den unsere Navigatin Marion berechnet hat.

Irgendwo in dieser Gegend liegt bekanntlich die am 21. November 1916 gesunkene „Britannic“ in 120 m Tiefe auf Grund, die unter rätselhaften Umständen innert 55 Minuten mit dem Bug voraus gesunken, aufgeprallt und zerbrochen ist. Die „Britannic“ Schwesterschiff der „Titanic“, fuhr damals als Lazarettschiff. Alle Passagiere bis auf 28 konnten gerettet werden. Die meisten Toten gab es, als ein Rettungsboot in die sich an der Wasseroberfläche drehenden Propeller geriet. Das Wrack liegt noch auf dem Meeresgrund, wurde 1976 von Jacques Cousteau wieder entdeckt und ist heute Objekt berühmter Tauchgänge.

Tagelang hat uns Felix eine Siesta in einer hübschen Meeresbucht versprochen, heute, am allerletzten Tag, will er sich das Wohlwollen der Crew mit dem Einhalten des Versprochenen sichern. Kaum haben wir die NE-Spitze von Makrónisos umrundet, steuern wir der Bucht Thorikou an, wo der Mittagsrast erfolgen soll. Untiefen und ein Fischerboot mit Schleppnetz lassen uns vorsichtig manövrieren und ankern, aber alles klappt auf Kommando bestens. Während des fröhlichen Mittagessens beobachten wir einen Riesentanker, der von einem Lotsenboot abgeholt und in die nördliche Bucht mit den grossen Kraftwerktürmen geleitet wird. Unheimlich, wie früh diese grossen Schiffe früh abbremsen müssen und dann praktisch nicht mehr manövrierfähig sind. Wir ziehen schlicht den Anker hoch, schalten den Motor an und/oder setzen rasch die Segel, und schon steuern wir überall problemlos durch.

Diesmal starten wir zum letzten Fahrtabschnitt. Ohne Zwischenfall fahren wir in den Hafen von Lávrion ein, wenden, Skipper Felix macht gekonnt einige Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen mit der „Ikaros“ und wir landen um 15.30 Uhr römisch-katholisch an der Pier, wo wir vor Tagen abgelegt haben. Lávrion hat uns wieder, und eine erlebnisreiche Segelwoche mit viel Wind, Wellen und Fröhlichkeit in höchst angenehmer Gesellschaft geht dem Ende entgegen.

Es folgte das Übliche: Reinigen, Aufräumen und Kontrolle des Bootes, was ohne jedes Problem vonstatten ging, das Packen, die Besichtigen der Nachbarboote und der stille Vergleich, ob man es auch mit einer andern Crew gut gehabt hätte (wir kamen unisono zu einem diesbezüglich negativen Ergebnis), die Landeinkäufe für die Lieben zuhause, ein gemütliches Nachtessen im eigenen Schiff, ein letztes friedliches Einschlummern auf der „Ikaros“, eine kurze Nacht, frühes Aufstehen und Sich-abholen-Lassen vom Flughafentaxi, Warten, Warten, Warten, Fliegen, Warten, Fliegen. Ankunft in Stuttgart und glückliche Heimfahrt nach Schaffhausen. Dies jedenfalls für Bea und Edi.

Der grosse Rest der Crew blieb noch einen Tag und eine Nacht länger in Lávrion und Umgebung, ihr Flug war auf den folgenden Tag gebucht. Es soll ein wunderbarer, schöner, griechischer Tag und eine ebenfalls kurze Nacht gewesen sein.

Eduard Joos